Zu Philipp von Alemann (1916-2015)
1999 wurde die „von Alemannsche Stiftung“ durch die Initiative von Philipp v. Alemann wiederbelebt. Er verstarb im Alter von fast hundert Jahren am 26. Oktober 2015. Philipp v. Alemann wurde 1916 mitten im Ersten Weltkrieg geboren. 1939 mit 23 Jahren war er Fliegeroffizier in einem Kampfgeschwader. Er wurde 30, als nach dem Krieg ein anderes Leben begann, zunächst u.a. als kaufmännischer Angestellter. In den 50er Jahren ging er wieder zum Militär und widmete sein Leben der Bundeswehr (zuletzt als Oberst der Luftwaffe). Als sein Vater 1954 starb, übernahm nicht Philipp, sondern sein Bruder Hans-Heine das Material zur „Familiengeschichte“.
Wie kam er dazu, eine alte Familienstiftung neu ins Leben zu rufen? Es war ein Zufall, er erhielt einen Brief von einem Mitarbeiter des Magdeburger Domstifts, der scheinbar Tote wieder auferstehen ließ. Sprechen wir also über „Zufälle“.
Jeden von uns überrascht ab und zu die Vergangenheit. Sie kommt über einen wie ein Blitzlicht. So einen Überraschungsangriff der „Familiengeschichte“ gab es schon 1980. Das Bild zeigt Hans-Heine v. Alemann und Philipp v. Alemann am 15.7.1980 in Brüssel bei einem Zusammentreffen mit Prof. Henri Bernard (in der Mitte). Grund war ein Brief aus dem Dezember 1979:
Sehr geehrter Herr Oberst von Alemann, …
Ich schreibe Ihnen heute wegen einer 65 Jahre alten Erinnerung. … Mein Vater … wurde … Zeuge des letzten Atemzuges des Leutnants der Kavallerie von Alemann, der neben seinem unversehrten Pferd tödlich verwundet worden war. … Bevor er starb, übergab der Leutnant v. A. meinem Vater seine Brieftasche, und dieser sicherte ihm zu, daß er sie an seine Familie weiterleiten würde. … die Brieftasche des Leutnants v. A. … enthielt … ein Foto von Frau v.A., einer schönen jungen Frau von 27 bis 30 Jahren mit zwei oder drei Kindern. …
Der Angeschriebene, nämlich Philipp von Alemann, den es gar nicht hätte geben dürfen, wenn der Verstorbene sein Vater gewesen wäre, holte sich Rat bei seinem Bruder Hans-Heine und schickte dem Unbekannten ein Foto, das seine Mutter mit seinen drei ältesten Geschwistern zeigt.
Prof. Bernard erkannte es sofort wieder. Hans-Heine und Philipp taten sich zusammen mit dem belgischen Spezialisten für Militärgeschichte. Die drei Herren erforschten, wie das Leben des doch nicht tödlich Verwundeten gerettet wurde, wie er weitere Söhne mit der hübschen Frau zeugen konnte. Ihre Ergebnisse zu der „merkwürdige Episode aus der Schlacht von Lüttich“ veröffentlichten sie in belgischen und deutschen Zeitschriften.
Der andere blitzlichtartige Überfall der Geschichte traf den Pensionär Ende der Neunziger Jahre. Es war der Brief eines Herrn v. Dietze, jenem Mitarbeiter des Domstifts, der mitteilte, dass es in Magdeburg zwei Grundstücke gäbe, die der Alemannstiftung gehörten. Die gesamte Familie ging davon aus, dass die alte Stiftung in der DDR längst aufgelöst und alle alten Grundstücke verloren seien. Philipp v. Alemann trat in lange aufwändige Verhandlungen mit Behörden und Maklern und rief am 6./7. Februar 1999 die Geschwister und nahen Verwandten zu einem Familientag nach Magdeburg ins Intercityhotel. Er legte der Familie die Frage vor, ob der verbliebene Besitz verkauft und der Erlös verteilt, oder ob die Stiftung wiederbelebt werden solle. Er verlas einen Brief der Stiftungsbehörde, der die Entscheidung eines Familientages verlangte. Neben ihm auf dem Foto sieht man Herrn v. Dietze. Die Stiftung wurde wiederbelebt. Angesichts geringer Verkaufserlöse und der noch geringeren Pachteinkünfte entschied sich die Mehrheit gegen die Verteilung von Geldern und für eine dauerhafte gemeinnützige Stiftung, die auch den Zusammenhalt der Familie sichern sollte.
Onkel Philipp übergab mit dem Familientag 1999 die Verantwortung an die jüngere Generation. Seither fanden viele Familientage statt. Auch die „jüngere“ Generation ist inzwischen gealtert. Auch sie muss jetzt die Jüngeren fragen: „Was bleibt? Gebt Ihr der Stiftung eine Zukunft?“ Es geht dabei um Grundbesitz, aber nicht nur um ihn. Dass wir so viel über die Familie wissen, verdanken wir ja insbesondere dem Gründer der Lehnsstiftung von 1879, der damit eine Jahrhunderte alte Tradition fortsetzen wollte: das Seniorat, das den Zusammenhalt des Familieneigentums und die Verteilung der Einkünfte dauerhaft sichern sollte. Hans-Dorus von Alemann schrieb hierzu eine Denkschrift, die sein Vorgehen begründen sollte. Einer der damals bedeutender Magdeburger Stadthistoriker, Ferdinand Albert Wolter, erstellte für diese Denkschrift mühevoll ein Inventar des alten Familieneigentums.
Die umfangreiche Material- und Dokumentensammlung der Familie wurde dem Stadtarchiv Magdeburg übergeben, wo man es mit den Dokumenten der Familie v. Guericke zusammenführte. Diese Sammlung ging im letzten Krieg leider verloren. Als Eberhard von Alemann, k.u.k.-General und Doktor der Philosophie, 1898 im Stiftungsvorstand das Seniorat für die österreichische Linie übernahm, öffnete sich ihm eine neue Welt. Das erste Treffen mit Hans-Dorus vA muss ihn gewaltig beeindruckt haben. Er verwendete seine Stiftungseinkünfte und über ein Jahrzehnt seiner Lebenszeit für jene Familiengeschichte, die heute – aus der Perspektive eines gebildeten Generals – weitgehend verlässlich Auskunft über unsere Vergangenheit gibt.
Als Hans-Dorus im Jahr 1900 starb, übernahm sein Sohn Martin das Seniorat für die preußische Linie. Eberhard von Alemann blieb bis zu seinem Tod 1925 im Amt. Es gab aber wohl wenige oder gar keine Treffen. Die Söhne des Gründers, Martin und Hans vA wollten die Stiftung auflösen und sie befassten sich mit dem Verkauf der Grundstücke. Doch auch Martin entdeckte die Familiengeschichte. Er hinterließ seinen Söhnen die Unterlagen seines Vaters. Hans-Heine arbeitete sie intensiv durch. Sein Sohn, Prof. Dr. Ulrich v. Alemann, übergab sie kürzlich der Stiftung. Es ist viel „Alltägliches“ aus dem letzten Jahrhundert dabei, wenig altes und viel aus den letzten Generationen. Manches hat Hans-Heine v. Alemann schon editiert. Aus den Kriegsbriefen an seine Frau machte er sogar ein Buch.
Es geht bei unserer Stiftung also nicht nur um Grundbesitz. Onkel Philipp würde sich wohl freuen, wenn beides – Familieneigentum und Familiengeschichte – dauerhaft eine Verbindung in der Familienstiftung fänden.